Reden ist nur Silber, Schweigen ist Gold!
Verschwiegenheit
Kategorie: Big4 | WP in den Medien
Datum: 21.04.2023

Wirecard unterrichtete durch den Vorstand Braun am 28.04.20 mittels einer ad hoc Meldung über das Ergebnis der KPMG-Sonderprüfung: „Belastende Belege für die öffentlich erhobenen Vorwürfe der Bilanzmanipulation wurden nicht gefunden.  In allen vier Prüfbereichen … haben sich keine substanziellen Feststellungen ergeben, die für die Jahresabschlüsse im Untersuchungszeitraum 2016, 2017 und 2018 zu Korrekturbedarf geführt hätten … und keine Anhaltspunkte für Abweichungen zwischen den ausgewiesenen Umsätzen und den Kontensalden”. (Quelle: dpa-AFX)

KPMG-Vorstand Leitz übernahm für diese falsche Wirecard-Meldung keine Verantwortung und erklärte: „Die Verantwortung für Kapitalmarktinformationen liegt allein beim Vorstand.“

KPMG sah sich durch nichts veranlasst, die Lüge des Wirecard-Vorstands schnellstens aus der Welt zu schaffen. Nach meiner Beurteilung konnte die Lüge erst durch die Berufung auf das (falsche) KPMG-Prüfungsergebnis die volle Wirkung entfalten.

Geht Verschwiegenheit vor Betrugsbekämpfung?

WP Leitz beschränkte sich 2020 darauf, Herrn Braun mitzuteilen, dass er der Meinung sei, die Mitteilung sei ungenau und sollte geändert werden (FT 13.04.22). Weiter wird WP Leitz zitiert, dass er dem Ex-Vorstand Braun schwere Vorwürfe wegen seiner damaligen falschen ad hoc Mitteilung machte und nicht erwähnte, dass KPMG sehr wohl auf ein “Hindernis bei der Untersuchung” gestoßen sei.

Stand Herrn WP Leitz zur Aufklärung der Lüge vielleicht die Verschwiegenheit des § 43 Abs. 1 WPO im Wege, oder machte er es sich angesichts der sechs Berufspflichten der WPO zu leicht? 

Kollege Reese ist tiefer eingestiegen und prüfte, ob ein Wirtschaftsprüfer schweigen muss, wenn er erfährt, dass sein Mandant über sein Prüfungsergebnis Lügen verbreitet. Er teilt nicht die Meinung von KPMG Vorstand Leitz: “Die Verantwortung für Kapitalmarktinformationen liegt allein beim Vorstand.” 

Lesen Sie dazu seine Begründung und lassen Sie seine Gedanken auf sich wirken …

Das Thema hat uns allerdings so sehr beschäftigt, dass wir unseren Juristen Prof. Dr. Jürgen von Stuhr gebeten haben auch aus rechtlicher Sicht nochmals Stellung zu nehmen. Die Ausführungen dazu lesen Sie im Anschluss an die Gedanken unseres Kollegen Reese.

Wir wünschen Ihnen erhellende Momente!

von Wolfgang Reese
Mitglied bei wp-net e.V.

Ich teile die Meinung von KPMG-Vorstand Leitz nicht. Der Sachverhalt ist nicht durch die Verschwiegenheit gedeckt.

Herr Markus Braun hat wider besseres Wissens und vorsätzlich über KPMG-Prüfungsergebnisse die Unwahrheit verbreitet. Es war also Herr Braun, der gegen die Verschwiegenheit verstoßen hatte. Dann täuschte Herr Braun die Öffentlichkeit, weil er auf scheinbare Prüfungsergebnisse hinwies. Diese waren jedoch Fake-Nachrichten.

Wenn jemand gegen die Verschwiegenheit verstoßen hat, dann war dies Herr Braun. Er berichtete über ad hoc Meldungen aus dem Gutachten. „Es gab keine substanziellen Feststellungen die … zu Korrekturbedarf geführt hätten …“.

Diese ad hoc Meldung war konträr zu den KPMG-Prüfungsergebnissen (Untersuchungshemmnis und 1 Milliarde Euro nicht nachweisbar) und wurden durch das Schweigen der KPMG zu Tatsachen, zu einer öffentlichen Erklärung. Die Folge war wohl, dass der ausbleibende Widerspruch bei vielen Kapitalanlegern, die den Braun-Aussagen vertraut haben, (großen) Schaden verursachte.

Meines Erachtens war der öffentlich bestellte und vereidigte Wirtschaftsprüfer verpflichtet, hier durch eigene öffentliche Aussagen den Lügen zu widersprechen. Ein Verstoß gegen den Verschwiegenheitsgrundsatz hätte dann nach meiner Auffassung nicht vorgelegen, weil der WP über seine Ergebnisse der Untersuchungshandlungen berichtete hätte, die vorsätzlich falsch durch Herrn Braun in die Öffentlichkeit gelangten.

So wie das Abschluss-Testat die Adressaten über das Prüfungsergebnis informiert, hätten zur Schadensabwehr die Adressaten, zu denen auch die Öffentlichkeit gehört, über die falsch wiedergegebenen Untersuchungsergebnis informiert werden müssen.

Mit seinen falschen ad hoc Mitteilungen hat Herr Braun die Erwartung in die Welt gesetzt, dass die späteren Untersuchungsergebnisse positiv ausfallen würden. Da die Untersuchungsergebnisse aber allein in der Verantwortung des Wirtschaftsprüfers liegen, hätte KPMG klarstellen müssen, dass dem nicht so ist. 

Für kapitalmarktorientierte Unternehmen gelten nach HGB erweiterte Informationspflichten (§§ 264 Abs 1 Satz 2, 286 Abs. 3 Satz 3, § 289b). Mit der Aussage „die Verantwortung für Kapitalmarktinformationen liegt allein beim Vorstand“ stellt der Wirtschaftsprüfer durch sein Schweigen den Schutz der Privatsphäre über den Schutz der Öffentlichkeit. Lügen sind aber durch die Verschwiegenheitspflicht nicht schützenswert. 

Sollte ich nicht richtigliegen, weil es ein solches Widerspruchsrecht des Wirtschaftsprüfers noch nicht gibt, dann sollte der Gesetzgeber den § 43 Abs. 1 WPO (Verschwiegenheit) modernisieren, um den Wirtschaftsprüfer Richtigstellungen zu ermöglichen.

Die Öffentlichkeit erwartet während einer laufenden Prüfung keine Informationen, wenn aber von Beteiligten Informationen zur laufenden Prüfung gemacht werden, hat meines Erachtens die Gegenseite das Recht und die Pflicht, sich ebenfalls öffentlich zu äußern. Dies trifft besonders auf den Wirtschaftsprüfer zu, wenn die Aussagen des Vorstands im Gegensatz zu dem zu erwartenden Ergebnis stehen.

Meines Erachtens hätte eine Erklärung des Wirtschaftsprüfers ausgereicht wie beispielsweise: „Die Prüfungshandlungen sind noch nicht abgeschlossen, zu möglichen Prüfungsergebnissen sind noch keine qualitativen Aussagen getroffen.“

Mit kollegialem Gruß

Wolfgang Reese
Wirtschaftsprüfer Steuerberater

Wikipedia gibt folgende Grundsatzerläuterungen:

„Die Verschwiegenheitspflicht oder Schweigepflicht ist die rechtliche Verpflichtung bestimmter Berufsgruppen, ihnen anvertraute Geheimnisse nicht unbefugt an Dritte weiterzugeben. Im deutschen Strafgesetzbuch ist die Verletzung der Schweigepflicht in § 203 StGB als Verletzung von Privatgeheimnissen geregelt.” (hierin werden u.a. auch Wirtschaftsprüfer ausdrücklich erwähnt).

Gründe zur Entbindung der Schweigepflicht können sein:

  • Einwilligung des Geschützten,
  • mutmaßliche Einwilligung des Geschützten,
  • Pflicht zur Anzeige bestimmter schwerer, geplanter Straftaten,
  • zur eigenen Verteidigung,
  • Schutz höherwertiger Rechtsgüter.“

Konkret kommen hier folgende Gesichtspunkte zum Tragen:

  • „eigene Verteidigung“. KPMG muss sich gegen den Vorwurf/Verdacht verteidigen, keine Bedenken gegen die Aussage des Wirecard-Vorstands zu haben und sie dadurch sogar zu decken bzw. die Täuschung des Kapitalmarktes mitzutragen. Diese Strategie hat WP Leitz mit der Aussage zur Verantwortung für die Kapitalmarktinformationen von sich gewiesen. Eine Schutzbehauptung? Hier könnte ein Rechtsirrtum bei WP Leitz vorliegen, die die WPK-Berufsaufsicht klären müsste: Hat WP Leitz bei der WPK Rat eingeholt? Seine gegenüber Braun geäußerten Bedenken reichen hierzu nicht aus. Bei seiner Entscheidung zu schweigen, könnte auch die kritische Grundhaltung eine Rolle spielen, weil Braun WP Leitz mit rechtlichen Schritten gedroht haben soll.
  • „Schutz höherwertiger Rechtsgüter“. Der Schutz des Kapitalmarktes vor Betrug ist ein hohes Gut. Liegt hier vielleicht sogar eine Offenbarungspflicht vor? Nur der sofortige öffentliche Widerspruch durch den WP schützt den Kapitalmarkt. Hier zählt jede Stunde. Nach dem aktuellen WPK-Kommentar 2022 verpflichtet die Verschwiegenheit den WP vielmehr nur dazu, generell keine Tatsachen und Umstände zu offenbaren, die dem WP bei seiner Berufstätigkeit anvertraut oder bekannt wurden. Den Kapitalmarkt mit einer Lüge zu betrügen, ist überhaupt kein schützenswertes Rechtsgut. Dazu braucht es keine Abwägung und eine ultimo ratio-Prüfung. Feststellung: Ein möglicher öffentlicher Widerspruch seitens KPMG offenbart keine Geheimnisse, die falschen Untersuchungsergebnisse hat Wirecard selbst veröffentlicht.

Standesrechtliche Normen für bestimmte Berufsgruppen (Berufsordnungen) regeln die Verschwiegenheitspflicht für ihren Bereich: diese sind für Wirtschaftsprüfer in § 43 Abs. 1 WPO (ergänzt durch § 50 WPO) festgeschrieben.

Die Verschwiegenheitspflicht verbietet nur die unbefugte Offenbarung fremder Geheimnisse. In bestimmten Fällen kann die Offenbarung deshalb gerechtfertigt sein.

Es ist zu unterscheiden, unter welchen Bedingungen Auskunft gegeben werden darf und muss. Eine Überwindung der Verschwiegenheitsplicht nach § 43 Abs. 1 WPO kommt z.B. in Betracht, wenn:

  • Ein rechtfertigender Notstand gemäß § 34 StGB vorliegt
    Wenn ein höherwertiges Rechtsgut gegenwärtig konkret gefährdet ist, ist der Bruch der Schweigepflicht nicht rechtswidrig. Eine Offenbarung des anvertrauten Geheimnisses ist nur zulässig, wenn eine Güterabwägung ergibt, dass der Bruch des Geheimnisses angemessen und geeignet ist, die drohende Gefahr abzuwenden und das zu schützende Rechtsgut das beeinträchtigte Rechtsgut (Vertrauensbruch) wesentlich überwiegt.
  • Bei Wahrnehmung berechtigter Interessen
    Nach der WPO Kommentierung soll das nur in sehr engen Grenzen möglich sein:
    – bei der Wahrnehmung berechtigter eigener Interessen, (z.B. Rechtfertigung eigener Honorarforderungen oder Abwehr einer eigenen Strafandrohungen) wird eine Durchbrechung der Verschwiegenheitsplicht noch eher geduldet als
    – bei der Wahrnehmung fremder Interessen (wie somit „nur“ der Interessen der Allgemeinheit), bei welcher die Grenzen noch enger zu ziehen sein sollen.

Nach einem Urteil des KG Berlin vom 7. Oktober 1993 soll eine Durchbrechung der Verschwiegenheitspflicht immer nur die „ultima ratio“ darstellen. Vorher müsse stets geprüft werden, ob nicht auf andere Weise eine ordnungsgemäße Rechtfertigung und/oder Rechtsverfolgung erreicht werden könne. Andere Mittel der Interessenwahrnehmung müssten vorher ausgeschöpft werden. Bei der Offenbarung von Mandanteninformationen müsste sich der Wirtschaftsprüfer letztlich stets auf das Notwendige beschränken.

Fazit:

Das Anliegen und die Kern-Aussage des Kollegen Wolfgang Reese erscheint sehr nachvollziehbar und inhaltlich durchaus berechtigt. Wie sich aus seinen Ausführungen ergibt, fordert er wohl auch nur eine Richtigstellung dieser Kernaussage eines zu Unrecht bzw. falsch dargelegten Untersuchungsergebnisses.

Er schlägt ja auch nur vor, zu veröffentlichen: 

„Die Prüfungshandlungen sind noch nicht abgeschlossen, zu möglichen Prüfungsergebnissen sind noch keine qualitativen Aussagen getroffen.“ 

Weitere, inhaltliche Aussagen zu konkreten, inhaltlichen Fehlern könnten hingegen kritisch erscheinen. Mit kollegialem Gruß
WP/StB/RA Prof. Dr. Jürgen von Stuhr
Mitglied im wp.net und
Mitglied im WPK-Beirat 09.2011-08.2022


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Bildnachweis: Imilian/Shutterstock

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