Wer hat die Berufspflichten im IDW-PS 300 vergessen?
Gemeinsam sind wir stark
Kategorie: Beiratswahlen
Datum: 30.06.2022

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

im ersten Teil der PS-Analyse vom 27. Juni mussten wir dem IDW PS 300 die Eignung zur Einholung zwingender Prüfungsnachweise absprechen. Der IDW PS 300 liefert nur einen schwachen Überzeugungsnachweis. 

In der heutigen Untersuchung bringen wir die sechs Berufspflichten ins Spiel und fragen uns: Wer hat die Berufspflichten im IDW PS 300 vergessen? 

Bei der Analyse der EY-Prüfung Wirecard fragten wir uns, welche IDW Prüfungsstandards versagt haben könnten? Im zweiten Fall enttäuscht uns das IDW. Sie bricht ihren Versuch, einen positiven Beitrag zur Verhinderung des Cum-Ex-Betrugs zu liefern, frühzeitig ab: Ihr Entwurf des Rechnungslegungshinweises zur Beendigung des CumEx-Betrugs ist seit 2006 in der Versenkung verschwunden. 

1. Der Prüfungsstandard braucht den Geist der Berufspflichten – sonst droht das Aus!

Seit 2000 erleben wir den totalen IDW-Anspruch: „Die Standards machen wir und sonst niemand“. Damit bestimmt das IDW auch den Anteil der Berufspflichten in den Standards. Die Berufspflichtenquote ist für uns der Qualitätslevel in den Standards. Wir haben den IDW PS 300 (2014) deswegen einem Qualitäts-Faktencheck unterzogen. Mit einem mageren Ergebnis:

Die kritische Grundhaltung kommt in Tz 10 sehr spät ins Spiel. Nach dem sich der IDW PS schon vorher auf den überzeugenden Prüfungsnachweis festgelegt hat, taucht spät die kritische Grundhaltung noch auf. 

Der einmalige Hinweis auf die Eigenverantwortlichkeit in Tz 2 dient nur der Beantwortung der Frage, ob und inwieweit PS 300 anzuwenden ist. Die Unabhängigkeit, die Unparteilichkeit und die Verschwiegenheit kommen im PS 300 gar nicht vor. Was uns stark irritiert, ist der fehlende Hinweis auf die Beachtung der Gewissenhaftigkeit, eine der wichtigsten Berufspflichten beim Einholen der Prüfungsnachweise.

Prüfungsnachweise ohne Gewissenhaftigkeit

Die Abwesenheit der Gewissenhaftigkeit im PS 300 halten wir für sehr bedenklich. Wo bleibt bei der Anwendung des IDW PS 300 der Druck auf den Prüfer, zwingende Prüfungsnachweise einzuholen? Keine noch so umfangreiche Checkliste kann alle Eventualitäten einer Prüfung a priori erfassen. Deswegen sind und bleiben sie fehleranfällig. Denn Checklisten machen bekanntlich blind. Dies sieht der AK Bilanzrecht der Hochschullehrer Rechtswissenschaft in seiner FISG-Eingabe auch so: “Die ISA mit ihren ausführlichsten Regelsystemen tragen noch zu anderen Fehlentwicklungen bei: Diese Prüfungen begünstigen eine Prüfung zum “Hakenmachen”.”

Bild: Checklisten machen blind

Prüferakte ohne Prüfungsnachweise, geht das?

Aus der Kommission für Qualitätskontrolle hörten wir die Nachricht, dass die Prüfer großer Gesellschaften seit Jahren keine Kopien oder Bilder von Originalurkunden o.ä. als Prüfungsnachweise zu den Akten nehmen. 

Wie soll denn der Abschlussprüfer eigenverantwortlich das Assistenten- oder Prüferurteil überprüfen und zu seinem Urteil machen können? Wie soll die Prüfer f.QK oder die APAS-Prüfer die Prüferurteile überprüfen können? Doch wohl nicht am beschreibenden Prüfungsnachweis des Assistenten. 

Prüfungsnachweise ohne Beachtung der Gewissenhaftigkeit und Eigenverantwortlichkeit sind für uns berufspflichtenwidrig!

„PKW-Schrottkistenübertragung“ ist aufwendiger als ein Mrd.-Bankguthaben zu bestätigen

Bei Wirecard haben die EY-Prüfer jahrelang auf Bankbestätigungen verzichtet und sich mit Treuhänderbescheinigungen zufriedengegeben. Vergleicht man den bürokratischen Aufwand einer PKW-Eigentumsumschreibung mit dem “lässigen” Vorgehen, ein Mrd.-Bankguthaben nachzuweisen, dann kommen wir zum Ergebnis: Man kann in Deutschland unter Einschaltung eines Wirtschaftsprüfers den Menschen leichter ein Mrd. Schein-Vermögen andrehen, als Eigentümer einer alten PKW-Schrottkiste zu werden.

IDW-Mitverantwortung für IDW-PS-Mängel?

Auch die wundersame Umwandlung von Forderungen in Bankguthaben bei Wirecard hat die EY-Prüfer nicht aus „ihrem Schlaf gerissen“. Hauptsache, ein Entlastungs-„Entwurfsgutachten“ lag den Prüfern vor. Wieder ist die Gewissenhaftigkeit auf der Strecke geblieben.

Welche stichhaltigen Argumente hatten die EY-Prüfer unter Beachtung der kritischen Grundhaltung, ein hohes Bankguthaben nicht durch Bankbestätigungen zu prüfen? Ganz einfach: IDW PS 300 sieht die Gewissenhaftigkeit nicht vor. Deswegen müssen Gesetz und Satzung Vorrang vor den Standards kommen. Die Berufspflichten verlangen mehr.

Für uns hat deswegen der IDW PS 300 eine Mitschuld, der nicht auf die Einhaltung der Berufspflicht der Gewissenhaftigkeit drängt. 

Warum fehlt im PS 300 der Hinweis auf die Gewissenhaftigkeit? Welche Verantwortung übernimmt eigentlich das IDW bei Mängeln in den Prüfungsstandards? Fragen, die dringend geklärt werden müssen.

Unsere Schlussfolgerung daraus: Ein Grund mehr, der IDW-Facharbeit das Know-how der WPK bei der Standardsetzung zur Seite zu stellen. 

2. Sind die Big4 „legale Staatsfeinde“ oder nur besonders gute Steuerberater?

Die aggressive aktive Steuervermeidung der Big4 können Sie im Stern vom 14.3.2013 unter „legale Staatsfeinde“ nachlesen. Uns interessiert heute mehr die passive Mitwirkung von IDW und Big4 bei der Steuererstattung ohne vorherige Steuerzahlungen, also ihre Mitwirkung bei CumEx.

Die Bürgerinitiative Finanzwende berichtet, dass die Bankenprüfer beim CumEx-Steuerbetrug eine nicht unwesentliche Rolle für das Gelingen des Betrugs spielten: „Die Bankenprüfer kamen ihrer Kontrollfunktion (bei der Jahresabschlussprüfung, Anm. Autor) nicht nach und ließen sich darauf ein, bestimmte Bilanzierungsmaßnahmen (Rückstellung für drohende Steuerrückzahlungen, Anm. Autor) aus den Jahresabschlüssen heraus zu lassen. Die ARD berichtete über einen Fall

IDW-Idee mit dem ERS 13nF zur Verhinderung von CumEx-Betrug wurde schnell eingestellt

Die IDW-Facharbeit flankierte die Passivität der Prüfer seit 2006. Nach einem Bericht der Finanzwende hatte das IDW die Chance verstreichen lassen, die damaligen CumEx-Modelle mit dem IDW ERS HFA 13 nF ein Ende zu bereiten. Der IDW-ERS-HFA 13 regelt(e), dass “bei außerbörslichen Kauf- und gleichzeitig vereinbarten Rückkaufgeschäften (sale and buy back), die jeweiligen Transaktionen „an unterschiedlichen Börsentagen jeweils zu den aktuellen Börsenkursen abgewickelt werden. Nur damit sollte das wirtschaftliche Eigentum bilanziell auf den Erwerber der Aktien übergehen“”. 

Für die Beobachter von der Finanzwende bedeutet dies: “Mit dem IDW ERS HFA 13 nF wäre das CumEx-Modell beendet gewesen: Denn bei CumEx-Geschäften wird die Beute in der Regel über den Rückkaufpreis des Aktienpaketes aufgeteilt. Wenn die Preise aber die aktuellen Börsenkurse widerspiegeln müssen, löst sich dieses Modell in Luft auf. Die „Beute-Aufteilung“ misslingt”. 

Und ohne Übergang des wirtschaftlichen Eigentums erlischt auch jeder konstruierte Anspruch auf Ausstellung einer Steuerbescheinigung, die zur Anrechnung einer vermeintlich abgeführten Steuer berechtigt. Mehr Staatstreue wäre wohl vom IDW zu nicht zu viel verlangt gewesen.

Finanzwende vermutet Eigeninteresse beim IDW-Rückzug

Eine Vielzahl Milliarden schwerer CumEx-Deals, mit denen der Fiskus in den Jahren 2007 bis 2011 betrogen worden ist, hätte mit dem IDW ERS HFA 13 nF verhindert werden können. Der ERS HFA 13 nF wäre zusätzlich auch eine starke fachliche Unterstützung für die Abschlussprüfer gewesen, das CumEx-Unwesen zu unterbinden. 

Bis heute gibt es keine Schlussfassung des ERS HFA 13nF. Damit drängt sich auch für uns der Verdacht auf, dass dieser IDW-Entwurf wohl intern umstritten war und einflussreiche Kräfte eine Beschlussfassung erfolgreich verhindert haben. 

Uns ist nicht bekannt, dass die HFA-Mitglieder auf der Dörschell-Liste (u.a. Herr Dörschell selbst) sich für die Finalisierung des ERS HFA 13nF eingesetzt hätten. 

Ein Grund mehr, an der Beiratswahl 2022 teilzunehmen und die wp-net-Listen zu wählen. Mit der Mehrheit im Rücken können wir die Kammer stark machen.

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Bildnachweis: Golden Dayz, solarseven/Shutterstock

 

Michael Gschrei
Author: Michael Gschrei

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