wp.weekly: Adler-Forderung nach Kontrahierungszwang nachvollziehbar
Adler
Datum: 27.01.2023

Erstmalig konnte ein börsennotiertes Unternehmen keinen Abschlussprüfer finden. Trotz Gerichtsbeschluss! 

Schon des Öfteren haben wir über die Probleme von Adler Real Estate berichtet. Siehe zum Thema Testatsverweigerung, zum anschließenden Prüferstreik, den Kommentaren der Mitglieder und EY’s Prüferzukunft.

Neu ist diesmal, dass IDW und Wirtschaftsprüferkammer die Prüfungsverweigerung öffentlich und mit kritischen Worten unterstützen. Dies mag auch daran liegen, weil die Big4 eine führende Rolle in der Kammer spielen. Umso mehr nach dem Ausschluss der 40%-wp-net-Liste. 

Zusammen mit Herrn WP Richard Wittsiepe hat wp-net ihre Sicht der Dinge an die Presse geschickt. In unserem heutigen wp-weekly wird sich Richard Wittsiepe mit den Argumenten von Herrn Prof. Naumann und dem WPK-Präsidenten Herrn Dörschell tiefer auseinandersetzen. Für uns ist z.B. die Naumann-Forderung nach der Einhaltung eines Grundvertrauens gegenüber dem geprüften Unternehmen das krasse Gegenteil zur kritischen Grundhaltung nach § 43 IV WPO.

WP Richard Wittsiepe präsentiert Ihnen heute eine weitere und alternative Sicht auf den Kontrahierungszwang. 

 

 

wp.weekly

 


 

Die Ablehnung des Kontrahierungszwangs im Lichte der Unparteilichkeit des Wirtschaftsprüfers (§43 Abs. 1 WPO)

von Dr. Richard Wittsiepe
Mitglied bei wp-net e.V.

Die Forderung nach einem Kontrahierungszwang war nach Ablehnung der Bestellung durch das Gericht zu erwarten. Das IDW sowie der Vorstand der WPK sind KPMG sehr schnell zu Seite gesprungen, ohne allerdings die gesamte Palette der Argumente zu beleuchten. 

Betrachten wir die vorgetragenen Argumente etwas genauer:

Forderung nach Grundvertrauen im Lichte des Enron-Bilanzbetrugs
In den 1990er Jahren war es üblich, die Vertrauenswürdigkeit der Geschäftsführung zu beurteilen. Dazu gab es eigene Checklisten. Kam man zu einem positiven Ergebnis, konnte dies Einfluss auf den Umfang der Prüfungshandlungen haben. Dieses Konzept wurde abrupt durch den Enron und Worldcom Skandal in 2001 beendet. Es erwies sich nicht als tragfähig. Es kommt auf die Prüfungsnachweise an, die als Ergebnis zu einem Urteil über den Inhalt des Jahresabschlusses führen. Vertrauen in die Angaben der Geschäftsführung sind keine Prüfung. Der Worldcom Skandal ist dafür bestes Beispiel, denn teilweise wurden wesentliche Positionen nicht geprüft, man verließ sich auf die Angaben

Zur Angemessenheit der Testatsverweigerung
Die Zurückhaltung von Informationen bezogen auf 800.000 E-Mails ist differenziert zu betrachten. Die Bilanz der Adler Group ist geprägt durch Immobilien-Investments. Wie man deren Werthaltigkeit überprüft, ist gängige Praxis. Dazu gibt es bewährte Prüfungsmethoden. E-Mails zählen zunächst einmal nicht dazu. Bei Adler war es anscheinend so, dass Geschäfte mit nahestehenden Personen genauer überprüft werden mussten, um zu einer Beurteilung der Angemessenheit der Geschäfte zu kommen. 

Wie man das als Prüfer technisch macht, ist ebenfalls Standard. Es gibt Verträge, Korrespondenz, Vergleiche der Konditionen usw. Bleiben danach Zweifel, sieht ISA 500 u.a. „Inquiry“ als Methode vor, d.h. die Befragung der Geschäftsführung. Sind diese Auskünfte nicht befriedigend, kann entweder eine Einschränkung des Testats oder aber auch ein Hinweis in einem gesonderten Abschnitt des Testats als 2. Absatz im Bereich „Gründe für unser Prüfungsurteil“ erfolgen. 800.000 E-Mails liest sich niemand durch. Es ist klar, dass die Analyse der Texte deswegen mit Forensik und Analysetools erfolgt. Das stellt aber überhaupt nicht sicher, dass die entscheidenden Informationen gefunden werden, weshalb die oben beschriebene Methode nach ISA 500 erste Wahl ist. Verweigerung von Auskünften durch die Geschäftsführung auf konkrete Fragen ist schon völlig ausreichend, um daraus Schlussfolgerungen zu ziehen

Wenn jetzt Adler eine renommierte Anwaltskanzlei mit der Auswertung der E-Mails beauftragt hat, so erscheint dies angemessen. Der Abschlussprüfer kann sich sehr wohl auf solche Auswertungen verlassen. Er muss die Seriosität des Dienstleisters, hier White Case, dessen Know-how und Vorgehensweise beurteilen und dann entscheiden, ob er dessen Ergebnis übernimmt. Das erscheint bei dem Ruf der Gesellschaft durchaus machbar, vor allem weil die Kanzlei bei vielen Börsentransaktionen und als Berater tätig ist. Bei E-Mails kommt der Datenschutz hinzu, denn unter den 800.000 Mails dürften auch zahlreiche Mails mit privaten Inhalten gewesen sein. Hier muss der Prüfer abwägen, ob die Forderung nach Herausgabe angemessen ist (§320 II HGB verlangt: Eine sorgfältige Prüfung ist notwendig). Im Endeffekt mutet es aber seltsam an, wenn eine Prüfung der Position bzw. der Geschäfte nicht durch die Methodik nach ISA 500 möglich sein soll, sondern E-Mail Analysen benötigt.

 

Kontrahierungszwang für einen sicheren Kapitalmarkt erforderlich
Völlig unbeleuchtet bleiben in den Stellungnahmen die Aspekte, die für einen Kontrahierungszwang sprechen. Da gibt es zunächst die gesetzliche Verpflichtung, eine Jahresabschlussprüfung durchzuführen. Diese ist ja kein Selbstzweck, sondern dient Anlegern, Banken und Analysten als Grundlage für deren Entscheidungsfindung. Das Prüfungsurteil ist also wesentlich für die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes. Die Insolvenz einer börsennotierten Gesellschaft, aufgrund einer nicht möglichen Abschlussprüfung, muss zwangsläufig den Gesetzgeber auf den Plan rufen. Diesem bleibt nichts anderes übrig, als die gesetzliche Lücke zu schließen. Eine Insolvenz führt zwangsläufig zu volkswirtschaftlichen Schäden, wie dem Verlust von Arbeitsplätzen, Probleme bei Lieferanten und Kunden. Auch für den deutschen Börsenplatz entstehen Probleme. Da der Prüfermarkt in diesem Segment ein Oligopol ist, wäre es sinnvoll, dem Gericht mehr Optionen zur Verfügung zu stellen. 

Ungewöhnliche Situationen erfordern ungewöhnliche Lösungen. Dazu könnte die Anordnung eines Joint- oder Shared-Audit gehören, mit der Maßgabe, dass für eine der beteiligten Gesellschaften die Ausschlussgründe nach § 319 ausgesetzt werden.

Berufspflichten widrige Einseitigkeit der Stellungnahmen
Abschließend betrachtet sind die einseitigen Stellungnahmen des IDW sowie des WPK-Vorstands bedenklich. Man hätte erwarten dürfen, dass die Argumente beider Seiten genauer betrachtet werden. Daran kann man den großen Einfluss der bekannten Player in diesen Gremien erkennen. Eine Insolvenz von Adler aufgrund einer nicht stattgefundenen Abschlussprüfung kann sich der Berufsstand nicht leisten. Hier müssen Unbehagen der Prüfer bei Annahme des Auftrags hinter die Interessen der Öffentlichkeit zurücktreten. Die Abschlussprüfung ist das Alleinstellungsmerkmal des WP-Berufsstands und muss auch in kritischen Situationen zur Verfügung stehen.

Ihr

Dr. Richard Wittsiepe
Wirtschaftsprüfer in Duisburg

 

 

 


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Bildnachweis: CorinnaL/Shutterstock

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